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Aufenthalt im fremden Land mehrt und kräftigt den Verstand

Am 12. Oktober 2007 war es soweit: 24 Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Ernestinum in Rinteln flogen zusammen mit Direktor Reinhold Lüthen, Studienrat Dr. Ralf Kirstan und Kirstans chinesischer Ehefrau Liping Kirstan (Chinesisch-Lehrerin am Ernestinum) von München aus in das „Reich der Mitte“, um eine Schulpartnerschaft mit einem chinesischen Gymnasium zu begründen. Dahinter stand die Idee, bei jungen Menschen in Deutschland Neugier und Interesse an einer Nation zu wecken, die für viele westliche Jugendliche immer noch exotisch, fremd und unverständlich ist, obwohl sie von führenden Wirtschaftsfachleuten als „die aufstrebende Macht des 21. Jahrhunderts“ gesehen wird.

Die Route der Ernestinum-Reisegruppe ging über Peking in das südwestchinesische Chongqing: mit 32 Millionen Einwohnern die größte Stadt der Welt und Modellregion zur Überwindung der großen Wirtschaftsgegensätze zwischen Stadt und Land in China. Nicht nur die Reise selbst war ein Abenteuer, auch die Vorgeschichte war turbulent: Bereits im Januar 2007 hatte das Ernestinum eine Partnerschaft mit dem Chongqinger Nanfang Translator’s College of Sisu in die Wege zu leiten begonnen. Acht Monate später schien alles „in trockenen Tüchern“ zu sein: Der Besuch der deutschen Reisegruppe in diesem College stand kurz bevor, schon seit fünf Monaten standen die deutschen Schüler der Klassenstufen 10 bis 12 mit ihren chinesischen Partnern in wechselseitigem Kontakt, die Flugtickets waren gekauft. Wäre da Mitte September nicht die Einladung des Dalai Lama in das Bundeskanzleramt erfolgt. Große Politik zeitigte Konsequenzen auf unterster Ebene: Ganz überraschend änderte das Nanfang College seine Haltung grundlegend. Eben noch willkommene Gäste, wurde die deutsche Reisegruppe auf einmal vom College-Direktor ausgeladen: Die Zeiten seien empfindlich. Erheblichen Widerständen aus der Lehrer- und Studentenschaft der germanistischen Abteilung begegnete er mit einem Machtwort. Um das Projekt in letzter Minute zu retten, wandten wir uns an die deutsche Botschaft in Peking und das deutsche Generalkonsulat in Chengdu mit der Bitte um Unterstützung. Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung war an dem Fall interessiert und schaltete sich ein. Vom deutschen Kulturkonsul in Peking war zu erfahren, dass der Direktor des Nanfang-College den Bogen wohl überspannt habe, da die Pekinger Zentralregierung die Linie verfolge, kulturelle Kooperations- und Austauschprojekte aus den Zwistigkeiten des politischen Tagesgeschäftes herauszuhalten. Daher führte eine Intervention von Botschaft und Generalkonsulat zu einem raschen Einschreiten der chinesischen Behörden: Der Leiter des Außenamtes der Provinzregierung Chongqing, Herr Zang Ming, bot sich höchstpersönlich an, uns eine adäquate Ersatz-Partnerschule zu vermitteln. Dieses großzügige Hilfsangebot wollten wir nach unserer Ankunft in Chongqing auf jeden Fall annehmen.

Zunächst aber machten wir einen Zwischenstopp in Peking. Wir logierten vier Tage in einem Hotel direkt an der berühmten Wangfujian-Fußgängerzone, nur circa 400 m entfernt von der Verbotenen Stadt. Von dort aus absolvierten wir ein umfangreiches kulturelles Programm, das neben einer interessanten „Kaffeefahrt“ zur chinesischen Mauer und den kaiserlichen Gräbern von Badaling aus der Ming-Zeit – statt Heizdecken versuchte man uns Jadeerzeugnisse anzudrehen – auch die Besichtigung der Verbotenen Stadt mitsamt ihrer Kaiserpaläste und des Tiananmen-Platzes umschloss.

Am Dienstag, dem 16. Oktober, ging es im Flugzeug weiter in das 2500 km entfernte Chongqing. Dort angekommen, zeigte sich zu unserer Überraschung gleich am Flughafen, was die Germanistik-Studenten des Nanfang-College auf das Machtwort ihres Direktors gaben: Gar nichts. Trotz Abbruchs der Partnerschaft durch den Direktor empfingen uns circa 30 begeisterte Germanistik-Studenten mit Schildern und Begrüßungsplakaten und machten unseren Schülern zahlreiche Angebote zur Kontaktpflege auf privater Ebene. Hierbei handelte es sich – nach den Worten Herrn Kruppas, des stellvertretenden deutschen Generalkonsuls in Chengdu, mit dem wir während der Reise telefonisch in Kontakt standen – um einen eindrucksvollen Beleg für einen offenbar beginnenden Mentalitätenwandel: Während die ältere Generation häufig noch erwartet, dass man ihren Anweisungen ohne wenn und aber Folge leistet, scheint die akademisch gebildete junge Generation nicht mehr so ohne weiteres bereit, für objektiv falsch erkannte Beschlüsse kritiklos hinzunehmen.

Besonders eindrücklich war für unsere Schüler in Chongqing zunächst die Unterkunft, die wir für unseren 12tägigen Aufenthalt bezogen: ein 4-Sterne-Hotel mit sehr noblem Ambiente, das pro Person deutlich unter dem Übernachtungspreis einer deutschen Jugendherberge lag und im Herzen von Chongqings kulturellem Stadtteil Shapingba gelegen ist. Von dort aus starteten wir unser Programm mit einem Besuch in der Chongqing Normal University. Erfreulicherweise hatte diese sich bereit erklärt, für uns ganz kurzfristig ein kulturelles Ersatzprogramm zusammenzustellen, nachdem wir eine Woche vor unserem Abflug nach China die definitive Absage des Direktors des Nanfang-College erhalten hatten. Für dieses sehr interessante und professionell organisierte Programm – unsere deutschen Schüler besuchten nicht nur Kurse in Taiji, Papierschneidekunst, chinesischer Knüpfkunst und Kalligraphie, sondern nahmen auch an Lehrveranstaltungen der anglistischen Fakultät teil –, zeichnete der Vizedirektor Prof. Guan Pin verantwortlich, dem auch an dieser Stelle nocheinmal unser herzlicher Dank ausgesprochen sei. Seinen krönenden Abschluss fand unser Besuch durch die Unterzeichnung eines offiziellen Kooperationsvertrages zwischen der Chongqing Normal University und dem Gymnasium Ernestinum.

Parallel zu den Veranstaltungen mit der Chongqing Normal University gelang es uns jedoch durch die persönliche Unterstützung von Herrn Zang Ming, dem Leiter des Außenamtes der Provinz Chongqing, auch Kontakte herzustellen zu der sehr renommierten 8. Mittelschule. Die besondere Stellung dieser Lehranstalt wird allein schon an ihrer Ziffer deutlich: Die Zahl Acht verheißt in China Glück und Reichtum. Nachdem wir uns am Donnerstag, dem 18. Oktober, zum ersten Mal mit der Leitung dieser Schule unter Federführung des Außenamtes getroffen hatten, erhielten wir nur zwei Tage später die Offerte, einen offiziellen Kooperationsvertrag mit diesem auch Partnerschaften zu England, Frankreich und Amerika unterhaltenden Gymnasium zu unterzeichnen. Die chinesischen offiziellen Stellen wollten uns nach dem „Desaster“ mit dem Nanfang-College also auf jeden Fall zu einem Erfolg verhelfen, und so paraphierten wir den Vertrag nur eine Woche später wiederum im Beisein des Außenamtes.

Zur Feier des Vertragsschlusses lud das Chongqinger Außenamt sowohl uns Deutsche als auch unsere Verhandlungspartner von der 8. Mittelschule zu einem opulenten Abendessen in ein ausgezeichnetes Restaurant ein. Um den jungen Kontakt zwischen unserem Ernestinum und der 8. Mittelschule zu vertiefen, lud man uns auch zu einer „Klassenparty“ ein, bei der Schüler der 8. Schule Musik- und Gesangseinlagen von hohem Niveau darboten und uns lehrten, wie man chinesische Maultaschen zubereitet. Im Gegenzug stellten auch wir unser Land kulturell vor, indem wir einige traditionelle Volkslieder im Chor vorsangen.

Nachdem so dank der überaus freundlichen Unterstützung von Herrn Zang Ming, aber auch von Herrn Kruppa, dem stellvertretenden deutschen Generalkonsul in Chengdu, doch noch eine Schulpartnerschaft mit einem renommierten chinesischen Gymnasium hatte begründet werden können, ging unsere Reise am 26. Oktober weiter nach Yangshuo (Guanxi-Provinz) in Südchina. Dort nahmen wir in einer wunderbaren Karstlandschaft mit hunderten von zuckerhutartig geformten Bergen an Flussfahrten, Radtouren, Höhlenbesuchen u. a. teil und gewannen so nicht zuletzt auch einen unvergesslichen Eindruck von Chinas landschaftlichen und naturräumlichen Sehenswürdigkeiten.

Am 2. November schließlich ging es über Guilin, Chongqing und Peking zurück in die Heimat. Eine ebenso interessante wie aufregende Reise war damit zu Ende. Alle beteiligten Schüler dürfen sich mit Recht als „Pioniere“ betrachten, ohne deren Unterstützung das Projekt einer Schulpartnerschaft zwischen dem Gymnasium Ernestinum und der 8. Mittelschule in Chongqing niemals hätte realisiert werden können. Wie ernsthaft beide Seiten um die Umsetzung des ausgehandelten Kooperationsvertrages bemüht sind, zeigt sich daran, dass die 8. Mittelschule bereits zugesagt hat, vom 28.06. bis 19.07.2008 zu einem Gegenbesuch nach Deutschland zu kommen. Wir vom Gymnasium Ernestinum sind überzeugt, dass auch dieses Treffen mit unseren chinesischen Partnern vom Geist der Freundschaft und Zusammenarbeit erfüllt sein wird.

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